Rückblick – Unsere „Schlafsackaktion“

Aus einer privaten Initiative und gemeinsamen Gedanken ist ein jährlich wiederkehrendes Gemeinschaftsprojekt innerhalb der HTI Cordes & Graefe KG entstanden.

Unser Unternehmenssitz in Stuhr liegt direkt vor den Toren Bremens.  Die Nähe zur Großstadt erleben wir nicht nur im Tagesgeschäft als Großhandel. Sie prägt uns auch privat, emotional und bildet die Grundlage für ein Engagement, das uns jedes Jahr aufs Neue anspornt und berührt.

Wenn die Tage kürzer und die Nächte länger werden, die Temperaturen sinken, dann kommt wieder die Zeit unserer „Schlafsackaktion“. Hierbei übergeben wir Schlafsäcke, Handschuhe und Mützen an die Innere Mission in Bremen und den dortigen Streetworker, um bedürftigen und obdachlosen Menschen ein essenzielles Grundbedürfnis zu erfüllen: Wärme. Mit unseren Sachspenden unterstützen wir die Arbeit der Streetworker/innen, die vor Ort direkten Kontakt zu den Menschen auf der Straße haben.

Da sein, nicht wegsehen und „die Schublade einfach mal geschlossen halten“, Initiative und Gesicht zeigen und dabei gemeinsam den „sozialen Blick schärfen“ – dies sind Motive dieser gemeinschaftlichen Aktion, die innerhalb der HTI Cordes & Graefe KG federführend von unseren Auszubildenen begleitet wird.

 

HTI Cordes & Grafe Schlafsackaktion: Übergabe der Schlafsäcke für Oobdachlose Menschen im Winter 2022/2023 an den örtlichen Streetworker in Bremen

Schlafsackübergabe für obdachlose Menschen im Winter 2022/2023 an den örtlichen Streetworker in Bremen

 

Perspektivwechsel – Die „Soziale Stadtführung“

Um besser verstehen zu können, welche Hintergründe im Zusammenhang mit einer Obdachlosigkeit stehen können, haben wir das Angebot der Streetworker/innen angenommen und uns dieses Jahr zu einer „Sozialen Stadtführung“ angemeldet. Die „Soziale Stadtführung“ unterscheidet sich grundlegend von denen – für uns – gewohnten Führungen. Sie wird von Bremer Sozialarbeitern/innen und „betroffenen“ Menschen begleitet, die selbst obdachlos waren oder sind.

Wir sind gespannt, als wir uns zum vereinbarten Treffpunkt im Umfeld des Bremer Hauptbahnhofs aufmachen und dort auf den ehrenamtlichen Mitarbeiter der Inneren Mission „Cäsar“ und sein Team stoßen.

Für uns geht es hierbei darum, einen Perspektivwechsel zu wagen:

Unser Alltag ist von unserem privaten und beruflichen Umfeld geprägt. Letzteres bei unserer HTI Cordes & Graefe KG, innerhalb der GC-Familie, verbindet uns als Kolleginnen und Kollegen. Bei allen Herausforderungen, die sich uns auch im „betrieblichen Alltag“ stellen, ist die Sicherheit und das innerbetriebliche, zwischenmenschliche, starke Miteinander ein Punkt, der uns Halt gibt. Halt, den viele Menschen auf der Straße vergeblich suchen.

Wir stellen uns also auf einen Blick weit über unseren eigenen „Tellerrand“ hinaus ein, als wir von „Cäsar“ herzlich empfangen werden und unsere „Soziale Stadtführung“ beginnt.

„Wo genau wirst du heute schlafen (Platte machen)? Wo bekommst du einen Schlafsack und frische Kleidung her? Wo erhältst du Essen und Trinken? Wie wirst du den Zugang zu Sanitäranlagen erhalten? Wo und wie kannst du wieder an Bargeld gelangen? Wem kannst du noch vertrauen?“ Fragen, auf die Obdachlose Tag für Tag eine Antwort finden müssen.

 

HTI Cordes & Grafe Soziale Stadtführung

Sonnenstrahlen durchbrechen die Wolken. Lichtblicke am Bremer Hauptbahnhof und den Bereich der „Bürgerweide“. Für alle?  „Cäsar“ zeigt auf einen alten Bus, der mit einem grünen Vorzelt im Seitenbereich abgestellt ist. Dieser Bus, so erfahren wir, dient bedürftigen Menschen als „Wärme-Bus“. Er kann kostenlos betreten werden.  Dort können sich Bedürftige aufwärmen, Schutz vor Wind- und Wetter suchen, mit Menschen ins Gespräch kommen oder auch nur ruhig da sitzen. Der Bus bietet also eine sichere Anlaufstelle, an der auch immer wieder Streetworker/innen vor Ort sind und die Menschen begleiten.

Wir sind bedrückt und erschrocken, als wir erfahren, dass dieser Bus kürzlich Ziel von Vandalismus geworden ist – Fenster und Türen wurden eingeschlagen. Von wem? Ungeklärt. Eine Mammutaufgabe auch für die Betreiber/innen, denn vieles basiert in diesem Bereich auf ehrenamtlicher Arbeit und Initiativen.

Unsere „Soziale Stadtführung“ beginnt nachdenklich. Auf den ersten Metern haben wir die Möglichkeit, mit betroffenen Menschen ins Gespräch zu kommen, die diese Stadtführung gemeinsam mit „Cäsar“ und seinem Hund begleiten.

Unser gemeinsamer Weg mit „Cäsar“ und seinem Team führt uns an Orte, die obdachlose Menschen immer wieder aufsuchen. Entscheidend bei dieser Führung und dem Konzept dahinter ist es, die Privatsphäre der betroffenen Menschen zu respektieren. Deshalb bauen wir innerhalb der „Sozialen Stadtführung“ bewusst keinen direkten Kontakt vor Ort auf: Nicht, um Menschen zu meiden, sondern um respektvoll und wertschätzend zu bleiben. Vielmehr berichten „Cäsars“ Begleiter/innen aus Sicht von Betroffenen, was hinter einer Obdachlosigkeit stecken kann. Unser Ansatz: „die Schublade bleibt geschlossen“, wertungsfrei. Wir hören zu und versuchen zu verstehen, was Gründe für Obdachlosigkeit sein können. Oft sind es demnach Erlebnisse, wie der Verlust eines lieben Menschen, Familienbrüche, Schicksalsschläge, die einen „anhaltenden Schock“ auslösen, der Antrieblosigkeit, den Verlust des Arbeitsplatzes, eine eintreffende Wohnungslosigkeit, dann die Obdachlosigkeit hervorruft. Klar wird: Hinter jedem Menschen steht eine ganz persönliche Geschichte.

 

HTi Cordes & Graefe Soziale Stadtführung

„Wieso auf der Straße leben und nicht in einer Notunterkunft?“

In vielen Städten sind Notunterkünfte vorhanden, wenn auch in begrenzter Anzahl. Ob dort auch mit dem Partner oder der Partnerin oder dem eigenen Hund übernachtet werden darf, ist von Stadt zu Stadt, von Notunterkunft zu Notunterkunft unterschiedlich. In der Regel sind Männer und Frauen getrennt untergebracht. Für Paare kann dies ein Hindernis sein. Für suchtkranke Menschen können Notunterkünfte ebenfalls nur schwer erreichbar sein. Es sind auch immer mal wieder bürokratische Hürden, die die Menschen vor eine Herausforderung stellen. Was aus der Entfernung heraus einfach wirken mag, ist für obdachlose Menschen Tag für Tag ein schwerer Lebensumstand, der – so wurde uns berichtet – nur in seltenen Fällen durchbrochen werden kann.

Der Wind pfeift scharf durch Bremens Gassen, als „Cäsar“ das Thema „Drogen“ anspricht. Drogen sind oft ein schweres Anschlussthema, wenn Menschen erst einmal auf der Straße „gelandet“ sind. Sie verschärfen die Notlage, der Ausweg aus der Sucht fällt schwer. Mit dem Konsum von Drogen steht der Bedarf von viel Geld im Fokus, um den täglichen Konsum zu decken. Oft ein Strudel, der in der Beschaffungskriminalität enden kann. Welche Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung es auch in Bremen gibt, macht uns „Cäsar“ deutlich, denn einige Einrichtungen liegen auf dem Weg unserer „Sozialen Stadtführung“. Betroffene Menschen dort zu erreichen und hier die „Schwellenangst“ zu nehmen, den Schritt zu wagen, Hilfe anzunehmen, sind starke Herausforderungen an die Streetworker/innen.

Wir biegen in eine weitere Seitenstraße ab. Der Lärm der Hochstraße wird nun von den Häuserblocks gedämpft. Thema Gewalt: Vermeintlich geschützte Ecken, weit ab vom öffentlichen Blick, können beim Leben auf der Straße und erst recht in der Nacht ein echtes Risiko darstellen. Im öffentlichen Raum ist es für obdachlose Menschen oft schwer, sich zu halten. Viele obdachlose Menschen fragen sich hierbei: „Bin ich noch Teil der Gesellschaft?“ Und so führt der Weg die Menschen in Ecken und Winkel, die schwer einsehbar sind. Mit „dem Gesicht zur Wand“ beginnt hier, ungeschützt im Freien, die Nacht. Wir erfahren von nächtlichen Übergriffen, gerade an Wochenenden. Angeschrien, bespuckt, getreten. Das Zelt – in dem geschlafen wird – mit einem Aufsatz von einem Straßenablauf beworfen. Perfide „Spiele“, auch in sozialen Netzwerken: „Wie schnell schafft er es wohl aus seinem Schlafsack?“ Dann: Angezündete Decken und Schlafsäcke. Bei uns: Stille. Auch im Hinblick auf Todesopfer, die es unter obdachlosen Menschen, nach schweren Übergriffen gibt.

Unter einem kleinen Vordach sprechen wir über das Thema Tod. Wo werden obdachlose Menschen beigesetzt? In Bremen gibt es hierfür die Grabstelle des Vereins für Innere Mission für verstorbene wohnungslose Menschen auf dem Waller Friedhof. Finanziert durch Spenden. Viele Urnengräber sind hier entstanden und die Menschen haben die Möglichkeit, im Zuge einer Beerdigungsfeier, gemeinsam Abschied zu nehmen. Auch dies ist von Stadt zu Stadt sehr unterschiedlich, manchmal endet das Leben auch namenlos.

HTi Cordes & Graefe Soziale Stadtführung: Gruppenfoto

Wir dürfen ein gemeinsames Foto machen, als unsere „Soziale Stadtführung“ sich dem Ende neigt.

Viele Eindrücke begleiten uns auf dem Weg zurück zur „Bürgerweide“. Im gemeinsamen Gespräch tauschen wir intern unsere Gedanken aus.  Nachdenklich sind wir alle. Doch sind wir nun auch frei von Vorurteilen? Nein. Aber wir haben dazugelernt. Und uns ist klar, dass die Lebensgeschichten eines jeden einzelnen Menschen sehr viel facettenreicher sind, als es ein einfaches „Schubladendenken“ abbilden kann. „Unsere Schubladen“ sind heute geschlossen geblieben.

Warum war dieser Tag so wichtig für uns? Es ging um Menschen, und Menschen spielen auch in unserem beruflichen Alltag die Hauptrolle. Das verbindet uns als Kolleginnen und Kollegen. Für uns der Ansatz, hier auch in Zukunft als Unternehmen Verantwortung zu übernehmen.